Unnötige Behandlungen verhindern: Es klappt fast nur mit finanziellen Anreizen
Vitamin-D-Tests stehen auf der Top-5-Liste der unnötigen medizinischen Massnahmen. Die Universität Zürich, die Berner Fachhochschule und SWICA haben untersucht, wie diese verhindert werden können, wenn sie wirklich nicht nötig sind. Das Ergebnis ist eindeutig: Ohne finanzielle Anreize geht es nicht.
2020 wurde gemäss dem Schweizer Gesundheitsobservatorium (Obsan) mehr als doppelt so oft auf Vitamin-D-Mangel getestet als noch 2013. Was nach einer besseren Gesundheitsversorgung klingt, ist tatsächlich ökonomischer Unsinn: Es besteht seit langem internationaler Konsens, dass Vitamin-D-Tests bei Personen mit niedrigem Risiko keinen Sinn machen. Anders bei Personen mit hohem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel: In dieser Situation können Ärztinnen und Ärzte ohne Test direkt ein Präparat verschreiben, wenn nichts gegen eine Einnahme spricht.
Tatsächlich steht der Vitamin-D-Bluttest seit April 2021 auch auf der Top-5-Liste der unnötigen medizinischen Massnahmen, die von der «Smarter Medicine»-Initiative herausgegeben wird. Obwohl das breite Bündnis von medizinischen Fachgesellschaften seit diesem Zeitpunkt aktiv von einer routinemässigen Vitamin-D-Testung abgeraten hat, gingen die Tests in den folgenden zwölf Monaten um nur rund sechs Prozent zurück.
Vergütung durch Grundversicherung gestoppt
Anders sah es ab Juli 2022 aus: Zu dem Zeitpunkt strich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Vitamin-D-Tests aus dem Leistungskatalog der Grundversicherung. Wenn keine Risikofaktoren vorlagen, mussten die Patientinnen und Patienten ab dem Zeitpunkt selbst für die Kosten aufkommen. Tatsächlich sanken die verordneten Testraten danach um 58 Prozent.
Diese Ergebnisse fasst eine aktuelle Studie der Universität Zürich, der Berner Fachhochschule und von SWICA zusammen. Die Studie ist in der wissenschaftlichen Open-Access-Zeitschrift «BMC Health Services Research» erschienen.
«Auch Ärztenetze und Krankenversicherungen können finanzielle Anreize setzen, damit die Patientinnen und Patienten die beste Behandlung erhalten und keine unnötigen Kosten entstehen.»
Aurélien Sallin, Studienautor und Versorgungsforschungsexperte bei SWICA
Verschiedene Gründe möglich
Gemäss den Studienautoren kommen mehrere Gründe dafür infrage, dass die wissenschaftlich gestützten Empfehlungen von Smarter Medicine wenig gebracht haben. «In der Schweiz werden evidenzbasierte Leitlinien von verschiedenen Organisationen entwickelt und verbreitet – etwa von Ärztenetzwerken, Fachgesellschaften oder Hochschulen. Diese Fragmentierung kann die Durchsetzungskraft schwächen», erklärt Aurélien Sallin, Experte Versorgungsforschung bei SWICA. «Dazu können weitere Hürden wie Zeit- und Ressourcenmangel kommen oder falsche finanzielle Anreize bestehen.» Auch die Patientinnen und Patienten könnten eine Rolle spielen, so Sallin. Unter dem Einfluss der öffentlichen Diskussion könnten sie Vitamin-D-Tests einfordern und damit die Empfehlungen ihrer Hausarztpraxis übersteuern.
Dass der Übernahmestopp der Kosten durch die Grundversicherungen deutlich wirksamer war, unterstreicht den begrenzten Einfluss «weicher» politischer Massnahmen auf das Ärzteverhalten. «Das deckt sich mit Forschungsergebnissen, wonach klinische Empfehlungen allein häufig nicht ausreichen, um Leistungen mit geringem Nutzen wirksam zu reduzieren», erklärt Sallin.
«Nur wenn Partner aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens zusammenarbeiten, können wir Überversorgung erkennen und gezielt dagegen vorgehen.»
Aurélien Sallin, Studienautor und Versorgungsforschungsexperte bei SWICA
Finanzielle Anreize setzen
«Die Streichung aus dem Grundversicherungskatalog ist aber nicht die einzige Lösung, um unnötige Behandlungen zu vermeiden», erklärt Sallin. Denn das führt zu mehr Aufwand bei der Regulierung und Verwaltung und kann dazu führen, dass Patientinnen und Patienten nicht ausreichend versorgt werden. «Auch Ärztenetze und Krankenversicherungen können finanzielle Anreize setzen, damit die Patientinnen und Patienten die beste Behandlung erhalten und keine unnötigen Kosten entstehen.» Er spricht damit die Managed-Care-Verträge an, die Ärztenetze und Krankenversicherungen im Rahmen alternativer Versicherungsmodelle abschliessen können. In den Verträgen werden Qualitätsstandards definiert und die finanzielle Mitverantwortung der Ärztinnen und Ärzte festgehalten.
Zusammenarbeit führt zu Transparenz
Unabhängig davon, wie unnötige Behandlungen konkret verhindert werden, betont Sallin wie wichtig solche Studien sind: «Nur wenn Partner aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens zusammenarbeiten, können wir Überversorgung erkennen und gezielt dagegen vorgehen.»