Selbstdiagnosen auf Social Media
«Nicht jeder, der schusselig ist, hat ADHS»

Seit einiger Zeit werden Social-Media-Kanäle wie TikTok, Instagram oder Youtube geradezu geflutet mit Videos zu psychischen Erkrankungen. Viele Jugendliche finden sich in den beschriebenen Symptomen wieder und diagnostizieren sich gleich selbst. Was ist von diesem Trend zu halten?

Wer auf Social-Media-Kanälen nach psychologischen Themen sucht, findet zahlreiche Videos wie «Drei Anzeichen für Hochsensibilität» oder «Bist du depressiv?». Man muss noch nicht einmal danach suchen – oftmals spült es diese Beiträge direkt in den eigenen Feed. Gerade Jugendliche diagnostizieren sich mit solchen Videos immer häufiger selbst. Momentan schreiben sich viele vor allem die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu. Tatsächlich verzeichnet eine Auswertung von SWICA von 2022 Rekordzahlen bei der Verschreibung von ADHS-Medikamenten wie Ritalin.

Selbstdiagnosen nicht zuverlässig

 «Selbstdiagnosen auf TikTok und Social Media sind allerdings nicht sehr zuverlässig», erklärt Ebongo Tshomba, Psychologin bei santé24. «Viele Menschen bezeichnen sich als etwas schusselig, verlegen zum Beispiel oft den Hausschlüssel oder das Handy. Das heisst aber nicht, dass jeder, der schusselig ist, automatisch von ADHS betroffen ist.»Für eine zuverlässige Diagnose brauche es eine Fachperson mit fundierter Ausbildung in Psychiatrie oder Psychotherapie. In der Therapie trifft Tshomba ab und zu junge Menschen mit einem selbst diagnostizierten ADHS an. «Ich erarbeite mit den Klientinnen und Klienten dann ein Verständnis von ADHS und entscheide gemeinsam mit der Person, ob eine Abklärung sinnvoll ist.»

Identitätssuche als Auslöser

Den Trend zu Selbstdiagnosen bei Jugendlichen sieht die Psychologin in vielen Ursachen begründet. «Einerseits nehmen psychische Erkrankungen unter Jugendlichen seit dem Aufkommen der sozialen Medien und nochmals verstärkt seit der Corona-Pandemie zu. Andererseits ist in den letzten Jahrzehnten aber auch das Bewusstsein in der Bevölkerung für psychische Erkrankungen gestiegen», so Tshomba. «Immer mehr Menschen stehen öffentlich zu ihren psychischen Beschwerden, dazu gibt es auch viele prominente Beispiele.» 

Jugendliche ernst nehmen

Einen weiteren Grund sieht die Psychologin im Lebensabschnitt selbst: «In vielen Fällen ist eine Selbstdiagnose einfach ein erster Schritt in einem Prozess, in dem sich der junge Mensch mit sich selbst auseinandersetzt.» Oft stecke dahinter zudem der Wunsch, dass das eigene Leiden benannt werden kann und auch vom Umfeld anerkannt wird. Deshalb solle man den Jugendlichen zuhören und das, was sie sagen, ernst nehmen, rät Tshomba. «Das heisst nicht, dass jede Diagnose fraglos bestätigt werden muss. Wichtig ist, den Ängsten und Sorgen mit Offenheit und Interesse zu begegnen.»

Begleitete Online-Selbsthilfe-Trainings 

santé24 bietet SWICA-Versicherten zur Bewältigung von psychischen Belastungen bei unterschiedlichen psychischen Symptomen und passenden Symptomstärken wissenschaftlich geprüfte Online-Selbsthilfe-Trainings. Dazu bearbeiten die Teilnehmenden selbständig zeit- und ortsunabhängig die Lektionen der Trainings und erhalten darauf von ihrem persönlichen Coach ein schriftliches Feedback.

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

ADHS beginnt im Kindesalter und kann auch Jugendliche und Erwachsene betreffen. Symptome wie Hyperaktivität, Impulsivität, Unaufmerksamkeit oder emotionale Probleme belasten häufig nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Umfeld. Die Behandlung erfolgt im Rahmen eines umfassenden Therapieprogramms mit nicht-medikamentösen Massnahmen sowie Arzneimitteln, die das Zusammenspiel bestimmter Botenstoffe im Gehirn verändern.

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