Zunehmend psychische Probleme bei Schweizer Jugendlichen
«Jugendliche sollten unterstützt werden, sich bei Bedarf Hilfe zu holen»

Mit insgesamt 19 352 Fällen waren psychische Erkrankungen 2021 erstmals die häufigste Ursache für Spitaleinweisungen bei den zehn- bis 24-Jährigen in der Schweiz. Dies zeigen Zahlen des Bundes zur psychischen Gesundheit in der Schweiz. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Spitaleinweisungen somit um 17 Prozent an, dabei sind besonders junge Frauen betroffen. Birgit Schmid, Verantwortliche Fachbereich Psychologie von santé24, ordnet ein.

Gerade Jugendliche leiden heute öfter an psychischen Problemen als früher. Was ist der Grund dafür?

Die Pandemie hat sicherlich viele Jugendliche psychisch herausgefordert. Auch deshalb, weil sie auf gute Kontakte mit Gleichaltrigen angewiesen sind, um eine stabile Persönlichkeit zu entwickeln. Jugendliche schätzen zwar die Vorteile der digitalen Kommunikation, aber auch für sie sind direkte Kontakte wichtig. Während der Pandemie waren diese Kontakte deutlich erschwert.

Allerdings waren die Eltern während dieser Zeit mehr zu Hause als sonst …

Eltern sind die zentralen Ansprech-, Vertrauens- und Unterstützungspersonen von Jugendlichen. Doch auch für Eltern war die Pandemie oftmals herausfordernd. Sie mussten zum Beispiel immer wieder Home-Schooling und Home-Office unter einen Hut bringen. Dies hatte sicherlich auch Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Familie. Es ist aber zu einfach, die Zunahme an psychischen Problemen unter Jugendlichen ausschliesslich auf die Pandemie zurückzuführen.

Jüngere Frauen kommen häufiger mit psychiatrischen Institutionen in Kontakt als gleichaltrige Männer. Wie erklären Sie dies?

In diesem Zusammenhang ist eine Studie vom University College London von 2019 interessant: Sie zeigt, dass jüngere Frauen, die drei bis fünf Stunden täglich soziale Medien nutzten, eine höhere depressive Symptomatik aufwiesen als jene, die dies ein bis drei Stunden täglich taten. Dieser Unterschied zeigte sich zwar auch bei jungen Männern, allerdings nicht so ausgeprägt. Das Ergebnis ist auch interessant, weil die stationären Behandlungen aufgrund einer Depression deutlich zugenommen haben. Dass sich psychische Beschwerden bei jungen Frauen entwickeln, liegt aber häufig an mehreren Faktoren. So steht etwa auch der Konsum von Alkohol oder anderen Drogen im Zusammenhang mit psychischen Störungen.

Gibt es weitere Faktoren, dich sich negativ auf die psychische Entwicklung von Jugendlichen auswirken?

Eine Studie von UNICEF von 2021 zeigt: Fast 90 Prozent der Schweizer und liechtensteinischen Jugendlichen mit einer psychischen Störung haben schwierige Erfahrungen in der Kindheit gemacht. Hier sticht besonders Belästigung und Mobbing in der Schule hervor, was auch den Erfahrungen entspricht, die wir in der psychologisch-psychiatrischen Sprechstunde bei santé24 machen. Fast ein Drittel der Jugendlichen in dieser Studie hat sich in der Kindheit schutzlos und nicht geliebt gefühlt oder fühlte sich nicht unterstützt. Weitere Faktoren sind verbale Erniedrigung und Diskriminierung, insbesondere wegen der sexuellen Orientierung. Es zeigt sich zudem, dass Jugendliche meist von mehreren Risikofaktoren betroffen waren.

Die Jugendzeit bringt viele Veränderungen mit sich. Wie können Eltern erkennen, ob ihre Tochter oder ihr Sohn psychische Probleme hat?

Das Gehirn von Jugendlichen befindet sich insbesondere in der Pubertät noch im «Reifungsprozess». Sie müssen in Krisen zum Teil mit heftigen eigenen emotionalen Reaktionen zurechtkommen. In der Pubertät möchten sich Jugendliche auch immer mehr von ihren Eltern abgrenzen. Alarmzeichen sind, wenn sich Jugendliche in ihr Zimmer zurückziehen, nicht mehr in die Schule gehen möchten und sich hinter dem Smartphone verschanzen, statt mit Freundinnen und Freunden abzumachen. Leider können sich einige psychische Erkrankungen wie etwa Depression, Essstörungen, Ängste aber auch Sucht während des Reifungsprozesses des Gehirns anbahnen.  

Wo können sich Jugendliche Hilfe holen?

In der Schweiz können sich Kinder und Jugendliche unter der Notfallnummer 147 von Pro Juventute rund um die Uhr über Telefon, SMS, E-Mail, Chat oder den Web-Self-Service 147.ch Hilfe holen. Die Anrufe sind gratis und erscheinen nicht auf der Telefonrechnung. Dies ist ein niederschwelliger Zugang für Jugendliche, bei dem sie anonym bleiben können. Oft suchen Jugendliche allerdings keinen Kontakt zu anderen Personen und bleiben mit ihren Problemen alleine. Grundsätzlich ist es auch wichtig, dass Jugendliche dabei unterstützt werden, sich bei Bedarf an wichtige Bezugspersonen zu wenden.

Eine Psychotherapie wird nach ärztlicher Überweisung von der Grundversicherung bezahlt. Doch Therapieplätze sind heute nicht ganz einfach zu finden…

Es gibt auch andere Anlaufstellen für Jugendliche. So haben Schulen häufig Schulsozialarbeiterinnen oder Schulsozialarbeiter. Grössere Lehrbetriebe haben Mitarbeitende, die für die Lehrlingsbetreuung zuständig sind. Hochschulen bieten meist eigene Beratungsstellen für ihre Studierenden. Diese können geeignet  sein, um ausserhalb der Familie über Probleme sprechen zu können. Weiter bieten auch Gemeinden und Städte Anlaufstellen für Jugendliche an. Diese werden unter unterschiedlichen Namen geführt: Bei manchen sind das Jugendbüros oder auch die Jugendberatung.

Psychologische Beratung durch santé24

SWICA-Versicherte erhalten rund um die Uhr medizinische Hilfe durch Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Fachpersonal von santé24. Plagen Sie Sorgen und Ängste oder nehmen Sie andere psychische Symptome wahr? Eine herausfordernde Situation im Alltag oder andere Unsicherheiten? Unter anderem bietet santé24 eine psychologisch-psychiatrische Sprechstunde durch Fachpersonen im Rahmen der Telemedizin an. Um einen Beratungstermin zu vereinbaren, kontaktieren Sie das Fachpersonal von santé24 unter der Telefonnummer +41 44 404 86 86.

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