Chronische Krankheiten
Endometriose: Ein Protein macht den Unterschied

Zehn Jahre vergehen im Schnitt, bis die chronische Krankheit Endometriose erkannt wird. Die von der Erkrankung der Gebärmutterschleimhaut betroffenen Frauen müssen nicht nur Schmerzen ertragen. Sie sind es auch leid, Hormonbehandlungen oder Operationen über sich ergehen zu lassen. Das USZ-Start-up und UZH Spin-off FimmCyte hat eine bahnbrechende Entdeckung gemacht. Ihr Ziel: Der Körper soll lernen, das fibrotische Gewebe selbst zu entfernen.

Jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter in der Schweiz leidet an Endometriose. Dabei siedelt sich das gebärmutterschleimhautähnliche Gewebe (Endometrium) auch ausserhalb der Gebärmutter an. Die Herde im Bauchraum, an den Eierstöcken, am Bauchfell, an der Blase oder sogar am Darm können zu enormen Unterleibsschmerzen führen. FimmCyte, ein Start-up im Portfolio des USZ Health Innovation Hubs, forscht an der Entwicklung einer neuartigen Behandlungsmöglichkeit. Im Interview erklärt FimmCyte-CEO Dr. Mohaned Shilaih, warum die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten bei Endometriose so wichtig ist.

Was ist das Problem der heutigen Standardbehandlungen, denen sich von Endometriose betroffene Frauen unterziehen?

Die Schmerzen und eine mögliche Unfruchtbarkeit führen betroffene Frauen irgendwann in eine Praxis, wobei es oft sehr lange dauert, bis eine Diagnose steht. Bei einer Standardbehandlung werden den Patientinnen Hormone und Schmerzmedikamente verabreicht, bis sie am Schluss vielleicht operiert werden. Ein leichter Zugang zu den Läsionen und die Erfahrung des Chirurgen spielen bei solchen Eingriffen eine grosse Rolle. In Fällen, in denen die Krankheit weit fortgeschritten ist, stellt die Hysterektomie – also die teilweise oder ganze Entfernung der Gebärmutter – oft die einzige effektive Option dar, um den Patientinnen signifikante Erleichterung zu verschaffen. Fakt ist aber, dass immer weniger Betroffene eine Hormontherapie machen oder sich einer Operation unterziehen wollen. Sie suchen nach Alternativen, um die Hormone kontrollieren zu können und so erhalten wir jede Woche E-Mails von Frauen, die verzweifelt nach einer anderen Lösung suchen.

Was für Auswirkungen hat es auf die Gesellschaft, dass Endometriose nicht besser erforscht ist?

Endometriose ist zwar per se eine Frauenkrankheit, die Auswirkungen betreffen aber die ganze Gesellschaft. In der Schweiz leiden rund 200'000 Frauen daran. Die chronische Krankheit kann Frauen in der Bildungs- und Berufswelt negativ beeinflussen. Durch die bedingten Fehlzeiten werden nicht nur die individuellen Entwicklungschancen beeinträchtigt, sondern es entsteht auch eine signifikante Diskrepanz zwischen betroffenen Frauen und ihren nicht betroffenen Kolleginnen.

Aber Endometriose stellt nicht nur eine physische, sondern auch eine emotionale Herausforderung dar, die das Privatleben der Betroffenen tiefgreifend beeinträchtigen kann.

Vielfach führt die Erkrankung zu belasteten Partnerschaften, bedingt durch das allgemeine Unwohlsein und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Der oft unerfüllte Kinderwunsch und die damit verbundenen finanziellen Belastungen durch Behandlungen wie die künstliche Befruchtung verschärfen diese Situation weiter.

Wie könnte die Situation entschärft werden?

Es ist ein komplexes Leiden und verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, gezielte Unterstützung für Betroffene anzubieten. So lassen sich gleiche Chancen für alle gewährleisten. Insbesondere die Politik und vielleicht auch die Gesellschaft sehen diese Krankheit generell nicht als dringlich an und es ist schwierig, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Leider gibt es bisher nur wenige Forschungsergebnisse, da sich die Krankheit ausschliesslich auf Frauen beschränkt. Australien und Frankreich gehen bei der Priorisierung von Endometriose mit gutem Beispiel voran, es sollten sich aber weit mehr Länder an der Erforschung dieser chronischen Krankheit beteiligen. Ich wundere mich wirklich, dass Endometriose nach wie vor als Nischenproblem angesehen wird.

Wie fliessen die Ergebnisse anderer Kolleginnen und Kollegen in die Forschungen von FimmCyte ein und wo knüpft Ihr Ansatz an?

Die Kolleginnen und Kollegen in Australien haben vor allem Grundlagenforschung betrieben, auf die wir zurückgreifen können. Unsere nicht-hormonelle Behandlung ist ein Novum, da wir ein Protein in den befallenen Zellen entdeckt haben, das darin häufiger vorkommt, als in anderen Zellen. Mit dieser Erkenntnis könnten wir die Endometriose von Frauen, die bisher gegen jegliche Interventionen resistent reagiert haben, noch spezifischer und effizienter behandeln. Denn Endometriose ist mehr als nur eine Hormonkrankheit, sie wirkt hochentzündlich im Körper. Bei Krebs beispielsweise erkennt das Immunsystem abnormale Zellen, bei Endometriose nicht. Es sind gesunde Zellen, die delokalisiert sind und zu Entzündungen und im Verlauf der Zeit zu fibrotischem Gewebe führen. Hier liegt die Krux; dem Körper beizubringen, die Endometriose als schädlich zu erkennen, ohne dabei gesundes Gewebe zu beschädigen. Im Labor unter der Leitung von Prof. Brigitte Leeners haben wir mit Gewebeproben von Patientinnen gearbeitet und beachtliche Erfolge erzielt. Diese positiven Ergebnisse konnten wir durch weitere Tests an Tiermodellen bestätigen, was unsere Forschungsansätze weiter untermauert.

«Ich wundere mich wirklich, dass Endometriose nach wie vor als Nischenproblem angesehen wird.» Dr. Mohaned Shilaih, FimmCyte-CEO
Die Laborergebnisse sind erfolgsversprechend und Sie hoffen, in acht Jahren ein marktfähiges Medikament entwickelt zu haben. Warum dauert es so lange, bis ein Medikament auf den Markt gebracht werden kann?

Es ist ein langer Weg, bis ein Medikament auf den Markt gebracht werden kann, aber mit viel Arbeit, einem Quäntchen Glück und wichtigen Unterstützern, die anerkennen, was wir tun, können wir die Krankheit irgendwann positiv beeinflussen. Dazu braucht es definitiv mehr Bewusstsein in der Gesellschaft und ein grösseres politisches Interesse an der Gendermedizin. Hilfreich wäre, wenn noch mehr in die Basisforschung investiert werden würde, um herauszufinden, weshalb sich diese Zellen verändern und das Gewebe wuchert. Es braucht eine bessere Vernetzung aller und potente Investoren, die an der Erforschung von Endometriose interessiert sind. Jeder, der mit dieser Krankheit in Berührung kommt, kann dabei eine Rolle spielen.

Was sind weitere Herausforderungen neben dem finanziellen Aspekt?

Wir hoffen, 2026 mit den ersten klinischen Studien starten zu können, um die Behandlung im vorgesehenen Zeitraum auf den Markt zu bringen. Diese Art der Innovation braucht enorm viel Zeit und erfordert auch viel Geld. Aber es braucht auch Pharmaunternehmen, die sich für ein Medikament zur Behandlung von Endometriose interessieren.

FimmCyte: Von der der Idee zum Startup

Am Anfang von FimmCyte stand eine Vision: Den Weg zur Heilung von Endometriose beschleunigen. Die Forschungsergebnisse an Patientenproben, die sie am USZ-Labor der Reproduktions-Endokrinologie von Prof. Brigitte Leeners erhalten haben, waren so vielversprechend, dass Dr. Mohaned Shilaih und Dr. Valentina Vongrad 2020 Kontakt mit dem USZ Innovation & Startup Center aufnahmen. Es folgten vier Qualitäts-Checks, die sie erfolgreich durchliefen, was 2021 zu einer Frühförderung des Forschungsprojekts geführt hat. 2022 folgte mit der Gründung einer Aktiengesellschaft der Höhepunkt.

Als neues Start-up erhielt FimmCyte über die nächsten zwei Jahre Coachings und Förderungen durch den USZ Health Innovation Hub. Innerhalb von drei Jahren wuchs FimmCyte auf sechs Mitarbeitende an und wurde unter anderem durch namhafte Institutionen wie BaseLaunch, VentureKick, UZH Life Sciences Fund, Gebert Rüf Stiftung und Innosuisse mit drei Millionen Franken unterstützt, die vor allem in die Forschungsentwicklung flossen. Die Gründer von FimmCyte hoffen, dass sie in acht Jahren ein marktfähiges Medikament entwickelt haben, das betroffenen Frauen mit einer nicht-hormonellen Behandlung gegen Endometriose helfen kann.

Die Köpfe hinter FimmCyte

Dr. Mohaned Shilaih, CEO

Dr. Mohaned Shilaih, Co-Gründer und CEO, graduierte an der Universität Zürich mit einem Doktor in Philosophie, spezialisiert auf Epidemiologie. Als Datenwissenschaftler war er in der Forschung tätig, leitete die klinische Entwicklung eines Technologieunternehmens und weist Erfahrung in der Pharmaindustrie auf.

Dr. Valentina Vongrad, CSO

Dr. Valentina Vongrad, Co-Gründerin und Chief Scientific Officer, graduierte an der Universität Zürich mit einem Doktor in Philosophie, spezialisiert auf Virologie. Bevor sie sich vor vier Jahren auf die Erforschung der Frauengesundheit spezialisiert hat, arbeitete sie in der Forschung und als Projektleiterin im Biotech-Bereich.

Prof Dr. med Brigitte Leeners, Co-Gründerin

Prof. Dr. med. Brigitte Leeners ist Co-Gründerin von FimmCyte und Klinikdirektorin an der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte sind die immunologischen Ansätze in der Behandlung der Endometriose. Die wissenschaftliche Entdeckung der spezifischen Proteinüberexpression und die Entwicklung der Antikörpertherapie fand in ihrem Labor statt.

SWICA: Endometriose-Pilotprojekt

SWICA und der Telemedizinanbieter santé24 haben mit 50 SWICA-Kundinnen ein Pilotprojekt lanciert, um herausfinden, wie sie Frauen mit Endometriose zwischen und während ihren Schüben besser unterstützen können. Im viermonatigen Pilotprojekt wurden über 80 telefonische Beratungen durchgeführt (gynäkologische Sprechstunden, Ernährungs- und Bewegungsberatungen und Online-Selbsthilfe-Schmerztraining). Dabei wurde vor allem das holistische Angebot geschätzt, das den SWICA-Kundinnen weiterhin kostenlos zur Verfügung steht.

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