Versorgungsforschung
Auch im Ausland sind Krankenversicherungen Treiber für integrierte Versorgung

Warum ist es wichtig, die Probleme im Gesundheitswesen über die Landesgrenzen hinweg zu diskutieren? Und wieso ist mehr Digitalisierung nicht immer die beste Lösung? Aurélien Sallin, Versorgungsforschungsexperte bei SWICA, erklärt im Interview, wie ausländische Expertinnen und Experten die Situation auf internationaler Ebene beurteilen.

«Medizinische Versorgung in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten» – diesem aktuellen Thema war im vergangenen Dezember der fünfte interdisziplinäre Kongress «Junge Wissenschaft und Praxis» in Berlin gewidmet. Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutierten die gegenwärtigen Herausforderungen des Gesundheitssystems. Aurélien Sallin, Versorgungsforschungsexperte bei SWICA, war vor Ort und erzählt im Interview von seinen Erkenntnissen.

Aurélien, warum ist es wichtig, Probleme im Gesundheitssystem auf internationaler Ebene zu diskutieren?

Wie die Schweiz stehen Deutschland, Österreich und viele andere Länder vor hohen, stetig steigenden Gesundheitskosten sowie Ineffizienzen im Gesundheitswesen. Als Gemeinschaft können wir viel von einzelnen erfolgreichen beziehungsweise nicht erfolgreichen Projekten lernen. Einig ist man sich darin, wie man Ineffizienzen verhindern könnte: durch flächendeckende Angebote der integrierten Versorgung, eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Akteure, einen Fokus auf den patientenseitigen Nutzen – auch Value Based Health Care genannt – und mehr Digitalisierung.

«Einig ist man sich darin, wie man Ineffizienzen verhindern könnte: durch flächendeckende Angebote der integrierten Versorgung […].» Aurélien Sallin, Experte Versorgungsforschung bei SWICA
Welchen Beitrag können Krankenversicherungen für ein effizientes Gesundheitssystem leisten?

Das wurde am Kongress ebenfalls diskutiert: Die Kostenträger – wozu auch die Krankenversicherungen zählen – können in Sachen Effizienz viel bewirken. Sie sind die Schnittstelle zwischen Gesundheitsdienstleistern, Prämienzahlenden, Patientinnen und Patienten. Entsprechend sind sie gut vernetzt, kennen die Probleme im Gesundheitswesen und sehen Innovations-Chancen. Als Kostenträger können sie Anreize setzen, um die Behandlungsqualität zu verbessern, Kosten zu senken, und Über- und Fehlversorgung in der Medizin zu steuern.

Ein typisches Beispiel sind die alternativen Versicherungsmodelle wie das Hausarzt- oder HMO-Modell. In diesen Modellen können Versicherer und Arztpraxen bestimmte Vereinbarungen treffen, die sich positiv auf die Qualität und die Effizienz der Versorgung auswirken. Klassisches Beispiel sind Disease-Management-Programme bei chronischen Erkrankungen. Ein anderes Beispiel für ein Anreizsystem ist die Patient Empowerment Initiative, bei der SWICA mit zwei Spitälern zusammenarbeitet. Dabei wird eine neue Spitalvergütung geschaffen, die Qualität statt Quantität belohnt. Es gibt zahlreiche solcher «bottom up»-Innovationen, die von Versicherungen unterstützt werden. Sie haben das Potenzial, den gefühlten Stillstand im Gesundheitssystem zu überwinden.

Inwiefern kann Digitalisierung zu mehr Effizienz führen?

Einen inspirierenden Vortrag hat ein Vertreter von Clalit gehalten – einem israelischen Krankenversicherer, der auch eigene Spitäler und Arztpraxen betreibt. Dort werden Gesundheitsdaten bereits mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet, um Risikopatientinnen und -patienten zu identifizieren und medizinisch zu unterstützen. Natürlich wäre so etwas in der Schweiz und Europa allein aufgrund der Datenschutzbestimmungen nur schwer denkbar, aber hierzulande steckt auch die gesundheitstechnische Infrastruktur noch in den Kinderschuhen. Dabei wäre ein barrierefreier Informationsaustausch wichtig, sowohl für die effiziente Versorgung als auch für die Forschung. Die Kongressteilnehmenden waren sich aber auch einig, dass nicht alle Probleme und ineffizienten Prozesse mittels Digitalisierung gelöst werden können.

Um welche Probleme handelt es sich dabei?

Zum Beispiel der Fachkräftemangel, Informationsverluste bei der Schnittstelle vom Spital zur Arztpraxis oder zu wenig strukturierte Patientenpfade. Diese Probleme kennt SWICA aus verschiedenen interdisziplinären Projekten ebenfalls. Teilweise sind auch neue Rollenverständnisse gefragt. Beispielsweise können Apothekerinnen und Apotheker oder auch Advanced Practice Nurses, die einen Masterabschluss in Pflege mitbringen, Versorgungslücken schliessen, wenn ihr Fachwissen richtig eingesetzt wird. Ausserdem braucht es ein sektorenübergreifendes Denken, welches das patientenseitige Behandlungsziel in den Vordergrund rückt. Das sind Abläufe und Prozesse, die nicht alleine durch Digitalisierung verändert werden können.

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