Künstliche Intelligenz in der Medizin
Tisch reservieren und Diagnose erhalten

Künstliche Intelligenz nimmt immer mehr ihren Platz in der Medizin ein. Durch die Analyse menschlicher Stimmmerkmale könnte sie bald Hinweise auf mögliche Krankheiten geben. Bis es so weit ist, sind aber noch einige technische, ethische und rechtliche Fragen zu klären.

Wer telefonisch einen Tisch im Lieblingsrestaurant reserviert, könnte bald von seinem Smartphone die Empfehlung erhalten, sich ärztlich untersuchen zu lassen: nicht wegen der Wahl des Restaurants, sondern aufgrund von Auffälligkeiten, die das Smartphone in der Stimme ermittelt hat. An dieser und ähnlichen Visionen arbeiten Forschende derzeit weltweit. In den USA erstellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa eine umfassende Datenbank mit Sprechproben von Menschen mit Herzinsuffizienz, Krebs, Parkinson und vielen anderen Krankheiten. 

Künstliche Intelligenz analysiert Stimmdaten

Versehen mit der Diagnose und genetischen Merkmalen der Sprechenden dienen die Sprechproben dazu, künstliche Intelligenz (KI) zu trainieren. «Die KI untersucht bei den Sprachsamples alles Mögliche: etwa Sprechtempo, Tonhöhen, Wortwahl, Atmungs- und sogar Hintergrundgeräusche», erklärt Prof. Dr. Alfred Angerer, Leiter der Fachstelle Gesundheitsmanagement an der ZHAW. Je mehr Sprechproben sie zur Verfügung hat, desto genauere Diagnosen kann die künstliche Intelligenz stellen. «Noch genauer werden solche KI, wenn beispielsweise mein Smartphone meine Sprache schon seit langer Zeit kennt.» 

Alexa im Patientenzimmer

Das würde sehr viele neue Möglichkeiten in der Medizin eröffnen. «Vorstellbar ist etwa eine Art Alexa, die im Patientenzimmer oder am Telefon mithört und so die Diagnose des Arztes unterstützt.» Spannend könnte es auch in der Prävention werden – gerade bei Krankheiten im Hals-Nasen-Ohren-Bereich (HNO), die die Sprache direkt verändern. «Auch im Mental Health gibt es sehr naheliegende Anwendungen», erklärt Angerer. «Wenn sich die Sprachgeschwindigkeit und Wortwahl verändert, könnte das beispielsweise ein frühes Anzeichen für Depressionen oder Alzheimer sein.» 

Auch Diabetes, Parkinson, Herzinsuffizienz und andere Krankheiten könnten so früher erkannt werden. Darüber hinaus könnte künstliche Intelligenz Zusammenhänge zwischen Sprechmerkmalen und Krankheiten entdecken, von denen bisher niemand wusste. «Ich würde da grundsätzlich nichts ausschliessen», so Angerer.

Technische, ethische und rechtliche Fragen

Damit künstliche Intelligenz derartige Unterstützung bieten kann, braucht es mehrere zehntausend gut kontrollierte und hochwertige Sprechproben mit Diagnosen. Nicht nur bei seltenen Krankheiten kann dies eine Herausforderung sein, wie Angerer am Beispiel deutlich macht: «Wo bekomme ich 100‘000 Sprachsamples von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten in verschiedenen Stadien, um eine KI zu trainieren?» Zudem ist unklar, ob sich die Erkenntnisse aus Sprechproben einer Sprache auf andere Sprachen übertragen lassen. 

Weiter stellt sich die Frage nach dem Umgang mit den Daten: «Eine Firma könnte die Anrufe ihrer Hotline mit einer KI durchleuchten, um festzustellen, wer an einer Depression leidet», gibt Angerer zu bedenken. Gesetzlich sind also noch sehr viele Fragen offen, sollten solche Systeme breit eingeführt werden. «Aber wenn diese gelöst werden, könnten solche Lösungen viel menschliches Leid in unserem Gesundheitssystem vermeiden.»

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