Sollen Netzwerke zur koordinierten Versorgung eingeführt werden?

Die integrierte Versorgung vernetzt Leistungserbringer, Patientinnen und Patienten und Kostenträger in der Gesundheitsversorgung. Um die integrierte Versorgung zu stärken, sollen im Rahmen des Kostendämpfungspakets Netzwerke zur koordinierten Versorgung als neue Leistungserbringer ins Krankenversicherungesetz (KVG) aufgenommen werden. Vorgesehen ist zudem, dass diese Netzwerke über einen Leistungsauftrag der Kantone verfügen müssen. Überdies sollen die Netzwerke zur koordinierten Versorgung dem Vertragszwang unterstehen und ihren Tätigkeitsbereich definieren, wobei sie nur ambulante Leistungen erbringen dürfen.

Pro

«In einem Punkt sind sich alle Akteure im Gesundheitswesen einig: Die Gesundheitsversorgung muss besser koordiniert werden. Behandlungen und Betreuungen, die nicht koordiniert sind, zwingen Patientinnen und Patienten dazu, selbst alles zu koordinieren – mit der Konsequenz, dass Doppelspurigkeiten entstehen, unnötige oder sogar falsche Interventionen durchgeführt werden. Was nach einem allenfalls mühsamen, ineffizienten Prozess klingt, ist in Wahrheit häufig tragischer. Denn fehlende Koordination spüren vor allem jene Menschen, welche regelmässig und meistens ihr Leben lang auf das Gesundheitswesen angewiesen sind: Die chronischen und/oder multimorbiden Patientinnen und Patienten. Diese Menschen fühlen sich nicht selten in die Lage versetzt, der eigene Case Manager sein zu müssen – wer sonst, wenn nicht sie? Solange Patientinnen und Patienten selbst diese Aufgabe übernehmen müssen, gibt es Handlungsbedarf. Zweifelsohne: Es hat in den letzten Jahren viele erfolgreiche Initiativen gegeben, die Gesundheitsversorgung besser zu koordinieren. Eine wirkliche, flächendeckende Veränderung ist jedoch ausgeblieben. Neue Lösungen müssen her – und diese möglichst rasch.»


Susanne Gedamke

Susanne Gedamke
Präsidentin SPO Patientenschutz

Contra

«Wir haben Probleme in der Gesundheitsversorgung und sind alle längst dabei, die Koordination zu verbessern. In den letzten 25 Jahren sind so Netzwerke zur koordinierten Versorgung entstanden, heute gibt es bereits eine grosse Zahl davon. Deshalb empfinde ich die Schaffung neuer Netzwerke als überflüssig. Zudem werden sich wohl auch die Patienten, die sich für die freie Arztwahl entschieden haben, nicht für Netzwerke als neue Leistungserbringer entscheiden. Es ist mir zugleich bis heute unklar, wie das funktionieren soll: Beispielsweise müssten sich Ärzte, die bereits heute in Netzwerken oder Gruppenpraxen arbeiten, wohl neu bei den neuen Netzwerken anstellen lassen. Dazu müssten sie neue Räumlichkeiten einrichten. Würde das dann von den Netzwerken bezahlt? Die Abrechnung funktionierte dann nur noch zentral über das neue Netzwerk, was wiederum Adminstrationsaufwand generiert. Die Tarife werden hingegen gleich bleiben, einen Koordinationstarif wird es trotz des grösseren Aufwand also nicht geben. Viele weitere Fragen bleiben ebenfalls unbeantwortet. Die Einführung solcher Netzwerke würde also keines unserer Probleme lösen, dafür aber sowohl einen massiven administrativen Aufwand wie auch weitere Kosten generieren.»

 Anne Sybil Götschi

Anne-Sybill Götschi 
Präsidentin Schweizer Dachverband der Ärztenetze medswiss.net

15.08.2023 / aktuell 3-2023